Wann verfällt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers? Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers.
In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, wann der Urlaubsanspruch eines/r Arbeitnehmers/in verfällt. Der Verfall des Urlaubsanspruchs ist zwar in § 7 Abs. 3 BUrlG gesetzlich geregelt, er bedarf jedoch zusätzlich einer europakonformen Auslegung. Dies hat zur Folge, dass der gesetzliche geregelte Verfall des Urlaubsanspruchs in der Zwischenzeit durch mehrere Entscheidungen des EuGH und des BAG deutlich eingeschränkt wurde. In einer aktuellen Entscheidung vom 07.09.2021 (Az: 9 AZR 3/21) hat das BAG sich nun ausführlich mit der derzeitigen Rechtslage auseinandergesetzt. Dies nehmen wir daher zum Anlass unseren Blogbeitrag vom 08.01.2021 zu erweitern und die aktuelle Rechtslage darzulegen.
Grundsatz
Nach der Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) muss der Urlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden, andernfalls verfällt er. Nur für den Fall, dass der Urlaub aufgrund dringender betrieblicher Gründe oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe nicht genommen werden kann, erfolgt eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr (§ 7 Abs. 3 Satz 2 BurlG). Der Urlaub muss im Fall der Übertragung nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden, ansonsten erlischt er nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG.
Ausnahme bei Langzeiterkrankungen von Arbeitnehmern
Bereits seit längerer Zeit ist in der Praxis bekannt, dass die Regelung in § 7 Abs. 3 BurlG unionsrechtskonform so auszulegen ist, dass der gesetzliche Urlaub nicht verfällt, wenn der betreffende Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist und es ihm daher nicht möglich ist den Urlaub zu nehmen. Rechtsfolge ist, dass dieser Urlaubsanspruch zu dem im nachfolgenden Kalenderjahr entstehenden Urlaubsanspruch hinzutritt und im Falle der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitsnehmers im laufenden Jahr nach § 7 Abs. 3 BurlG insgesamt zum Jahresende (bzw. bei einem erneuten Übertragungsgrund zum 31.03. des darauffolgenden Jahres) verfällt. Ist der Arbeitnehmer hingegen auch im Folgejahr und den ersten drei Monaten des weiteren Folgejahres durchgehend erkrankt, so erlischt der Urlaubsanspruch nach Ablauf dieser 15 Monate (Beispiel: Urlaubsanspruch für das Jahr 2020 erlischt bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers daher zum 31.03.2022).
Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers beim Urlaub
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner viel beachteten Entscheidung vom 19.02.2019 (Az: 9 AZR 423/16) im Wege einer weiteren, richtlinenkonformen Auslegung von § 7 BurlG entschieden, dass ein Verfall des Urlaubsanspruchs immer voraussetzt, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer auch wirklich in der Lage ist, seinen Urlaub zu nehmen. Um diese Voraussetzung zu erfüllen, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm dabei klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Den Arbeitgebern ist dringend zu empfehlen, diese Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in schriftlicher Form zu erfüllen und ausreichend zu dokumentieren, da solche zusätzlichen Urlaubsansprüche erfahrungsgemäß erst Jahre später im Zusammenhang mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitnehmerseite geltend gemacht werden.
Unterlässt der Arbeitgeber diese Aufforderung oder weist er den Arbeitnehmer nur unzureichend auf den Verfall hin, so hat dies zur Folge, dass der Urlaub – auch wenn der Arbeitnehmer ihn nicht im vorgegebenen Zeitraum beantragt – nicht mehr mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums verfällt. Der nicht verfallene Urlaub tritt dann zu dem Urlaubsanspruch für das Folgejahr hinzu. Für den gesamten Urlaubsanspruch gelten dann erneut die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 BUrlG.
Der Arbeitgeber kann ein Ansammeln von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren allerdings dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren dann jedenfalls im aktuellen Urlaubsjahr nachholt.
Geltung der Mitwirkungsobliegenheiten auch bei Langzeiterkrankungen
Zuletzt hatte sich das BAG vermehrt mit der Frage zu beschäftigten, ob die vorgenannten Grundsätze zur Mitwirkung des Arbeitgebers auch bei Langzeiterkrankungen von Arbeitnehmern gelten und der Arbeitgeber verpflichtet ist, auch einen langzeiterkrankten Arbeitnehmer aufzufordern hat, seinen Urlaub zu nehmen.
In seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH vom 07.07.2020 (Az: 9 AZR 401/19) hat das BAG vom Grundsatz her klargestellt, dass die Aufforderungs- und Hinweispflichten des Arbeitgebers auch dann gelten, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Der Arbeitgeber muss also auch den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer rechtzeitig entsprechend den gesetzlichen Vorgaben unterrichten und ihn auch auffordern, den Urlaub „bei Wiedergenesung vor Ablauf des Urlaubsjahres oder. des Übertragungszeitraums“ zur Vermeidung eines Verfalls so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums gewährt und genommen werden kann.
Einschränkung der Rechtsfolgen im Falle objektiver Unmöglichkeit
In seiner aktuellen Entscheidung vom 07.09.2021 (9 AZR 3/21) stellt das BAG jedoch erneut klar, dass das Unterlassen der Aufforderung oder ein unzureichender Hinweis von Seiten des Arbeitgebers bei einer Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers dann keine Auswirkungen auf den Verfall des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG hat, wenn (im Nachhinein) feststeht, dass die Realisierung des Urlaubsanspruchs durch den Arbeitnehmer objektiv unmöglich gewesen wäre.
Relevant ist nach der Feststellung des BAG, ob allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal gewesen ist. Dies ist nach der Entscheidung des BAG jedenfalls in folgenden Konstellationen der Fall:
- Der Arbeitnehmer war sei Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig.
- Die Arbeitsunfähigkeit ist erst im Verlauf des Urlaubsjahres eingetreten, dem Arbeitnehmer hätte vor deren Beginn aber kein (weiterer) Urlaub gewährt werden können, und der Arbeitnehmer war dann durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig
In beiden Konstellationen hätte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch bei Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht in die Lage versetzen können, die Urlaubsansprüche zu verwirklichen. Das BAG hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 07.09.2021 klargestellt, dass ein Verfall des Urlaubs in diese beiden Konstellationen mit Unionsrecht übereinstimmt, so dass die Rechtslage insoweit geklärt ist.
Beim EuGH noch anhängige Rechtsfrage
Im Rahmen des derzeit noch anhängigen Verfahrens vor dem EuGH (Az: C-727/20 St. Vincenz-Krankenhaus) wird daher nur die folgende Fallkonstellation geklärt: Der Arbeitnehmer ist im Verlauf des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt und war dann durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig. Der Arbeitnehmer hätte den Urlaub jedoch vor Beginn seiner Erkrankung im Urlaubsjahr – zumindest teilweise – noch nehmen können, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweispflichten erfüllt hätte.
Sollte der EuGH dahingehend entscheiden, dass in dieser Konstellation ein Verfall des Urlaubs nicht eintritt, so könnte dieses Risiko für die Arbeitgeber nur dadurch ausgeschlossen werden, dass der Arbeitgeber bereits zu Beginn des Kalenderjahres seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachkäme.
Dr. Andreas Wolff, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht